Artikel und Texte: Feindbild Fuchs
Feindbild Fuchs
Dag Frommhold, 1996.
Veröffentlicht in "Naturschutz heute" (1996), der Verbandszeitschrift des Naturschutzbundes Deutschland (NABU)

Was Naturschützer schon lange angesichts der stetig sinkenden Feldhasenbestände forderten, ist seit Dezember 1994 Realität - Meister Lampe ist in die Rote Liste der gefährdeten Tierarten aufgenommen worden. In der Tat stimmt die Entwicklung, die die Populationsdichte des Hasen seit der Nachkriegszeit genommen hat, nachdenklich. Während die bundesdeutschen Jäger noch 1977 mehr als eine Million Hasen schossen, sanken ihre "Strecken" bis 1993 auf nur unwesentlich mehr als 50% dieses Ergebnisses - wobei die Abschußzahlen weitestgehend proportional zu der Zahl der tatsächlich vorhandenen Tiere sein dürften. Vollkommen geklärt ist dabei für viele Wildbiologen noch immer nicht die Frage, wer oder was für den drastischen Rückgang der Feldhasendichte verantwortlich zu machen ist.
Auch das Rheinland-Pfälzische Ministerium für Landwirtschaft, Weinbau und Forsten schien hierüber keine Klarheit zu besitzen und beauftragte somit das Europäische Wildforschungs-Institut (EWI) in Bonndorf-Glashütte (Saarland) damit, Untersuchungen über den Einfluß von Füchsen auf Hasenpopulationen anzustellen. Überraschung griff schließlich selbst unter Jägern um sich, als das EWI im Januar 1995 mit seinen Ergebnissen an die Öffentlichkeit trat - man konstatierte, der Fuchs drohe den Feldhasen auszurotten und forderte überdies Kopfprämien für Füchse, um den Anreiz zur Fuchsjagd für die Waidmänner zu erhöhen. Doch während große Teile der Jägerschaft sich in Anbetracht des unerwarteten Resultats über den neuen Grund zur eifrigen Jagd auf den Fuchs freuten, standen viele Wissenschaftler und andere Insider den "neuen Erkenntnissen" von vorneherein kritisch gegenüber. So äußerte beispielsweise der Göttinger Wildbiologe Dr. Eberhard Schneider den Verdacht, das EWI habe bei seinen Untersuchungen bewußt wichtige Literatur ignoriert.
Diese Zweifel erscheinen verständlich, wenn man das EWI mitsamt seinen Mitarbeitern genauer unter die Lupe nimmt. So untersteht es der Leitung des Biologen Dr. Heribert Kalchreuter, dessen 1984 in überarbeiteter Neuauflage erschienenes Buch "Die Sache mit dem Waidwerk" auch von konservativeren Zeitschriften wie dem "Nationalpark" als "rückschrittlich" und uneingeschränktes, unkritisches "Plädoyer für die Bejagung freilebender Tiere" bezeichnet wurde. Kalchreuter ist überdies selbst leidenschaftlicher Jäger, der auch der Trophäenjagd in Afrika frönt, und charakterisierte sich in Interviews wiederholt als "Jagd-Missionar".
Als zweiter Mitarbeiter des EWI ist im "Handbuch Jagd" des Deutschen Jagdschutz-Verbandes Prof. Paul Müller vom Biogeographischen Institut der Universität des Saarlandes aufgeführt. Auch er ist Jäger und setzt sich vehement selbst für so umstrittene Jagdarten wie die Fallenjagd ein ("Wie kann die Fangjagd überleben ?", Wild und Hund 12/1992). Desweiteren steht das EWI in enger Kooperation mit jagdlichen Organisationen wie der FACE, dem Interessenverband der europäischen Jäger und Fänger.
Somit ist es durchaus nicht abwegig, zu vermuten, daß die erwähnte Studie über Fuchs und Hase von vorneherein mit dem Ziel konzipiert wurde, die Fuchsjagd, für die schon seit langem ein chronisches Rechtfertigungsdefizit existiert, wissenschaftlich abzusegnen. Doch die überwiegende Mehrheit der Ökologen und Biologen sehen die Prädation durch Füchse als einzig und allein in Konkurrenz zur jagdlichen "Nutzung" der Hasenbestände als relevant an. Im Klartext: Füchse können Hasen niemals an den Rand der Ausrottung bringen, doch die Hasen, die von ihnen gerissen werden, stehen für die Jäger nicht mehr zum Abschuß zur Verfügung - in der Jagdzeit können damit weniger Hasen "geerntet" werden, als es ohne Füchse der Fall wäre.
Begründet liegen diese Feststellungen zum einen darin, daß Füchse sogenannte Nahrungsgeneralisten sind und sich durch ein Phänomen, welches von Ökologen "Schwellenreaktion" genannt wird, stets auf die häufigste und am leichtesten erreichbare Nahrungsquelle umstellen. Ein Fuchs, der sich von Hasen ernähren müßte, würde in kürzester Zeit verhungern - nicht nur aufgrund der Seltenheit von Meister Lampe, sondern auch wegen dessen Schnelligkeit. Wie der Biologe Labhardt beobachtete, ist ein gesunder Hase für jeden Fuchs eine unerreichbare Beute. Bestätigt wird der niedrige Prädationsdruck des Fuchses auf den Feldhasen übrigens durch die geringe Furcht, die Hasen vor Reineke zeigen - vielerorts hoppeln sie übermütig um den Beutegreifer herum und ruhen sich in seiner unmittelbaren Nähe aus, ohne sich im Geringsten gestört zu fühlen.
Anders als das EWI sehen Wissenschaftler wie der Wildbiologe Dr. Eberhard Schneider dementsprechend nicht den Fuchs, sondern den Menschen als Hauptfeind des Hasen an. Durch die Umgestaltung der Landschaft und damit der Ausräumung des Lebensraumes von Meister Lampe sowie durch die Überdüngung des Bodens kommt es zu einem permanenten Nahrungsmangel, der - vor allem in Kombination mit ungünstigen Witterungseinflüssen - hohe Verluste für die Hasenpopulation mit sich bringt. Langfristig kann dem Hasen somit keineswegs durch die erbarmungslose Bejagung des Fuchses, sondern einzig und allein durch die Verbesserung seines Lebensraumes geholfen werden. Davon abgesehen kritisierte der Biologe und Jäger Manfred Pegel schon in den 80er Jahren die "systematische Überschätzung der Zuwachsraten des Feldhasen" - konkret warf er seinen Waidgenossen vor, bis zu 50% mehr Tiere zu töten, als der Bestand verkraften konnte!
Auch die Forderungen der EWI-Mitarbeiter nach Kopfgeld für Füchse und die krampfhafte Suche nach einer Rechtfertigungsmöglichkeit macht Fuchsjagd nicht weniger sinnlos und brutal als sie eben ist. Selbst ökologisch orientierte Jagdvereine wie der Bund Deutscher Jäger (BDJ) machen keinen Hehl daraus, daß die nur allzu oft in der Jägerschaft geäußerten Thesen von einer angeblichen unabdingbaren Wichtigkeit der Bejagung dieser schönen Wildtiere nicht der Wahrheit entsprechen. Sie meinen, daß "man den Fuchs in einem guten Bestand halten sollte", wie der BDJ-Präsident Müller-Hirschmann äußerte - als Aasvertilger und eifriger Mäusejäger macht der Rotrock sich nämlich um die Ordnung in Wald und Flur verdient; wie kürzlich auf dem 2. Internationalen Reh-Symposium in Südtirol zu hören war, hilft er außerdem dabei, die durch intensive Hege überhöhten Rehwildbestände in Grenzen zu halten. Ganz davon abgesehen, trägt der Fuchs - wie alle anderen Prädatoren auch - maßgeblich dazu bei, durch ständigen Selektionsdruck und das "Wegfangen" kranker und schwacher Tiere die Populationen seiner Beutetiere gesund zu halten. Und "Überhandnehmen" können Fuchspopulationen ohnehin nicht - soziale Faktoren, die der Biologe Zimen mit den Worten "Geburtenbeschränkung statt Massenelend" kommentierte, sorgen dafür, daß Reineke jährlich nur so viel Nachwuchs bekommt, wie sein Lebensraum auch vertragen kann. Andererseits können durch die flexible füchsische Sozialstruktur auch massivste Verluste ausgeglichen werden - während in jagdfreien Gebieten nur 25% der Fuchsfähen reproduzieren und durchschnittlich 3-4 Kinder zur Welt bringen, gebären unter starkem Jagddruck nahezu alle Füchsinnen jeweils bis zu 8 Jungen!
Dennoch wurde und wird kaum ein Wildtier hierzulande so erbarmungslos mit Flinte und Falle bejagt wie der Fuchs, jener ebenso schöne wie intelligente Beutegreifer, dem unbegründete menschliche Vorurteile nur allzu oft zum Verhängnis werden. Zimen stellte bei seinen Untersuchungen im Saarland fest, daß mehr als 50% der in Mai und Juni geschossenen Füchse säugende Fähen waren, deren noch unselbständige Jungen qualvoll sterben mußten. Auch das interessante und ausgeprägte Sozialverhalten der Tiere leidet unter dem starken Jagddruck sehr - nur selten trauen Fuchseltern sich hierzulande, mit ihrem Nachwuchs ausgedehnt zu spielen, während derartige Verhaltensweisen in jagdfreien Gebieten ausgedehnt beobachtet werden können.
Nachdem die argumentativen Feigenblätter Tollwut und Fuchsbandwurm als Rechtfertigungsmöglichkeit für die Fuchsjagd gescheitert sind, soll nun der Bestandsrückgang des Feldhasen dafür herhalten. Doch stichhaltiger als die erstgenannten Argumente ist auch dieses nicht. Selbst in der heutigen Kulturlandschaft muß die Natur weitaus weniger "geregelt" werden, als viele Menschen, und allen voran zahlreiche Jäger und Jagdfunktionäre, noch immer denken; im Gegenteil: Gerade die intensive Bejagung der letzten größeren Beutegreifer Europas ist ein ökologischer Fehlgriff sondergleichen, der zwar dem Jäger dient, der Natur aber signifikante Schäden zufügt. Hinzu kommt das Leid all jener Tiere, die vor jägerischen Flinten und in Fallen einen beileibe nicht immer schnellen Tod für nichts weiter als die menschliche Jagdleidenschaft sterben.
Trotz all der massiven Verleumdungskampagnen, die weite Teile der deutschen Jägerschaft aus purem "Futterneid" gegen den Fuchs und viele andere Prädatoren (Marder, Habicht, Rabenvögel) führen, läßt sich der jüngsten Studie des EWI aber doch ein positiver Aspekt abgewinnen - nachdem Müller und Kalchreuter jahrelang die Situation des Feldhasen bagatellisiert und auf "natürliche" Bestandsschwankungen zurückgeführt haben, geben sie jetzt endlich zu, daß die Sorge um Meister Lampe durchaus gerechtfertigt ist.
Literatur
  • V.Guthörl, "Viele Füchse sind des Hasen Tod", Deutsche Jagd Zeitung 2/1995
  • V.Guthörl, "Haben wir Reineke unterschätzt ?", Wild und Hund 2/1995
  • S.Linn, "Rätselvolle Fuchsgesellschaft", Die Pirsch 2/1994
  • P.Müller, "Wie kann die Fangjagd überleben?", Wild und Hund 12/1992
  • H.Kalchreuter, Die Sache mit der Jagd, München/Wien/Zürich 1984
  • M.Pegel, "Ist der Feldhase in der Bundesrepublik bestandsgefährdet?", DJV-Nachrichten 1/1987
  • F.Labhardt, Der Rotfuchs, Hamburg-Berlin 1990
  • D.Macdonald, Unter Füchsen, München 1993
  • D.Frommhold, Das Anti-Jagdbuch - von der ökologischen und ethischen Realität des edlen Waidwerks, München 1994