Artikel und Texte: Der Fuchs und das Jägerlatein
Der Fuchs und das Jägerlatein
Dag Frommhold, 1997/2002.
Veröffentlicht u.a. in "Stuttgarter Tierschutz" (1997) und im "Wolf Magazin" (2003)
Kaum ein Tier wird hierzulande so erbarmungslos verfolgt wie der Fuchs. Mehr als 600.000 dieser ebenso schönen wie
intelligenten Wildtiere mussten im Jagdjahr 2000/2001 durch jägerische Flinten und Fallen ihr Leben lassen; ein
Großteil davon als Welpen am elterlichen Bau. Viele Jäger können ihren Haß dabei kaum verbergen, wenn sie von
"dem Fuchs" im Kollektivsingular feindbildbezogener Termini reden - als "Niederwildschädling", "Wilderer" und
"Krankheitsüberträger" diffamiert, wird ihm in Deutschland nicht einmal eine Schonzeit zugestanden. Als Berlin
1995 wagte, wenigstens erwachsene Füchse neun Monate im Jahr unter Schutz zu stellen, kam es in den Jagdmedien
zu Proteststürmen - was die Jäger im Hinblick auf alle anderen Wildtiere als Ausdruck ihrer ethischen Gesinnung
werten, mutiert zum „gefährlichen Werk von Öko-Amateuren“ (Wild und Hund), wenn es auch für Füchse Geltung erlangen
soll. Nein, viel lieber schreibt man Fuchsjagd-Wettbewerbe aus, fordert hohe Abschußprämien und zeichnet die
erfolgreichsten Fuchskiller mit Preisen, Urkunden und Anstecknadeln aus.
Die Argumente, die die Jägerschaft zur Rechtfertigung ihrer rücksichtslosen Hatz auf Meister Reineke anführt, sind
dabei vollkommen hanebüchen und werden auch dadurch nicht glaubwürdiger, dass die großen deutschen Jagdzeitschriften
sie mit gebetsmühlenhafter Regelmäßigkeit wiederholen. Auf besondere Tradition kann in diesem Zusammenhang vor allem
die These zurückblicken, der Fuchs als Hauptüberträger der Tollwut müsse intensiv "bejagt" werden, um der Ausbreitung
dieser Seuche Einhalt zu gebieten.
Grausame Tollwutbekämpfung
Bereits ein kurzer Rückblick auf die jahrzehntelange Geschichte gewaltsamer Tollwutbekämpfung, von Landwirtschaftsminister
Ertl im Jahre 1970 mit der Anordnung des "Gastodes aller erreichbaren Füchse" initiiert, sollte dabei genügen,
um selbst dem begriffsstutzigsten Fürsprecher der Fuchsjagd die Sinnlosigkeit derartiger Kampagnen vor Augen zu
führen. Trotz einer beispiellosen Vernichtungsschlacht war damals kein nennenswerter Einfluß auf die Tollwutausbreitung
festzustellen; ebenso blieb die angestrebte Dezimierung der Füchse aus. In der Schweizerischen Tollwutzentrale konstatierte
man schließlich, Fuchsjagd sei kein adäquates Mittel zur Tollwutbekämpfung, da die großflächige Dezimierung dieser Tiere
nicht möglich sei.
Werden Füchse nämlich nicht bejagt, so leben sie in stabilen Familiengemeinschaften von bis zu zehn Tieren zusammen,
in denen nur die älteste Füchsin Kinder zur Welt bringt. Greift jedoch der Mensch mit Flinte und Falle in
die Fuchspopulation ein, so brechen diese stabilen Strukturen durch die ständige Umschichtung der sozialen
Verhältnisse auf. "Die Füchse haben kaum feste Reviere und keine feste Paarbindungen", so der als Fuchsexperte
geltende Biologe Dr. Erik Zimen, "Jede läufige Fähe findet ihren eher zufälligen Partner, der, einmal erfolgreich,
gleich weiterzieht, um bei der nächsten sein Glück zu versuchen."
Geburtenbeschränkung statt Massenelend"
Hinzu kommt noch, daß bei starkem Jagddruck auch die durchschnittliche Welpenzahl pro Wurf weitaus höher ausfällt
als in fuchsjagdfreien Gebieten. Während beispielsweise die hohen Vermehrungsraten bei nordamerikanischen Füchsen
in den 70er Jahren auf den hohen Pelzpreis und demensprechend intensive Fuchsjagd zurückgeführt werden können, hat
der geringfügig schwächere Jagddruck in Mitteleuropa zur Folge, daß sich zwar alle Füchsinnen fortpflanzen, die
Wurfgröße jedoch geringer ist. In traditionell fuchsjagdfreien Gebieten wie jenem um die englische Stadt Oxford
ist die Fortpflanzungsrate noch deutlich niedriger - hier bekommen nämlich wesentlich weniger Fuchsfähen überhaupt
Welpen.
Infolge dieses Phänomens - von Zimen treffend als "Geburtenbeschränkung statt Massenelend" beschrieben - ist
"Fuchskontrolle" also weder notwendig noch - was die meisten Reviere angeht - überhaupt möglich. Damit ist die
Tollwutbekämpfung durch Fuchsjagd ad absurdum geführt - und mehr noch: Fuchsverfolgung forciert die Tollwutausbreitung
sogar. Da bei starker Bejagung mehr Jungfüchse zur Welt kommen, gerade diese im Herbst jedoch auf Reviersuche lange
Wanderungen zurücklegen, steigt in einer stark bejagten Fuchspopulation die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Tollwut
signifikant an. Hinzu kommt, daß der durch die Jagd verursachte soziale Streß zu einer größeren Zahl aggressiver
Auseinandersetzungen zwischen Füchsen führt und die Ansteckungsgefahr somit ebenfalls erhöht. Als man dagegen bei
Grafenau im Bayerischen Wald die Fuchsjagd aussetzte, um die Folgen zu studieren, stieß man auf ein wenig
jagdfreundliches Resultat - die tollwütigen Tiere rotteten sich binnen drei Jahren selbst aus und wurden von
gesunden Eindringlingen ersetzt.
Inzwischen begegnet man übrigens nicht nur der Tollwut, sondern auch dem Fuchsbandwurm auf ebenso tierfreundliche wie
erfolgreiche Weise mit Impf- beziehungsweise Entwurmungsködern, deren Auslegen gemäß jüngsten Kosten-Nutzen-Analysen
auch bemerkenswerte ökonomische Vorteile gegenüber der gewaltsamen Tollwutbekämpfung besitzt. Selbst der Jägern
zufolge so effektive Jungfuchsabschuß am Bau wurde im Résumée einer Pilotstudie, die in den Jahren 1994 und 1995
in der Schweiz durchgeführt wurde, als Maßnahme mit "großem Aufwand, aber wenig Effekt" abgelehnt. Trotz dieser
eindeutigen Beweislagen nutzen Jäger die Panikmache vor Tollwut und Fuchsbandwurm aber nach wie vor, um Stimmung
gegen den Fuchs zu machen.
Reineke als Beutekonkurrent
Das andere Hauptargument der Jäger für die Fuchsjagd lässt die wahren Motive zur intensiven Bekämpfung von Meister
Reineke dagegen bereits durchschimmern: Füchse sind die größten verbliebenen Jagdkonkurrenten im Revier und reißen
möglicherweise auch einmal einen jener Hasen oder Fasanen, die der eifrige Weidmann lieber selbst getötet hätte. Gemäß
Jagdverbandssprecher Spittler ist rigorose Fuchsverfolgung dementsprechend "notwendig, um eine optimale Hasen- und
Fasanenstrecke zu erzielen", und der begeisterte Trophäenjäger Heribert Kalchreuter rechnete vor, daß man beim Fehlen
natürlicher Prädatoren wie Fuchs und Habicht ungleich mehr Hasen "abschöpfen" kann als unter normalen Umständen. In
Anbetracht derartiger Aussagen konstatiert der Verhaltensforscher und Buchautor Vitus B. Dröscher ganz richtig: "Viele
Jäger betrachten Reineke als Wilderer, der tunlichst zu erschießen, zu vergasen, mit Hunden zu hetzen und totzuprügeln
ist".
Allein die Tatsache, daß unzählige Füchse und Marder einen grausamen Tod sterben müssen, damit im Herbst mehr Feldhasen
auf der Strecke liegen, ist bedenklich genug – doch damit nicht genug: Die größtenteils hausgemachte Misere vieler
sogenannter Niederwildarten wird von Jägern immer wieder dazu genutzt, Stimmung gegen Beutegreifer zu machen.
Kurzerhand behauptet man, ohne die scharfe Bejagung der Beutegreifer würden diese Hase, Reb- und Birkhuhn ausrotten.
Gutachter wie Dr. Heribert Kalchreuter, der sich in Interviews wiederholt als "Jagd-Missionar" bezeichnete, gehen
dabei so weit, Kopfprämien für Füchse zu fordern – als Kompensation für sinkende Pelzpreise.
Wissenschaftler, deren Glaubwürdigkeit nicht durch den Besitz eines Jagdscheins relativiert wird, sind sich jedoch
darin einig, daß es nur einen einzigen Weg gibt, um gefährdeten Tierarten zu helfen: Die Rücknahme der Gefährdungsursache
selbst. Der Einfluß von Beutegreifern dagegen beeinflußt die Populationsdichte von Hase, Reb- und Birkhuhn nicht
entscheidend und ist allenfalls "in Konkurrenz zur jagdlichen Nutzung relevant", wie die Biologen Döring und Helfrich
konstatierten. In ganz Europa sind die Anteile beispielsweise von Hasenresten in Fuchslosungen verschwindend gering -
selbst dort, wo Hasen noch in großer Zahl vorhanden sind - und Untersuchungen zeigten, daß Füchse insbesondere dann
beispielsweise Entenvögel reißen, wenn diese durch die Jagd angeschossen oder geschwächt sind. Die realen Gründe für
den Bestandsrückgang vieler sogenannter "Niederwildarten" sind also keineswegs bei deren "natürlichen Feinden" zu
suchen, sondern vielmehr im anthropogenen Bereich.
Tod durch Flurbereinigung und Einheitsgrün
So fallen nach Hochrechnungen des führenden deutschen Hasenexperten Dr. Eberhard Schneider jährlich maximal 5% der
Hasen Beutegreifern zum Opfer, während der Rest in variierenden Anteilen durch Landwirtschaft, Straßenverkehr,
Krankheiten, Jäger, und - last but not least - Hunger infolge des stickstoffgeschwängerten Einheitsgrüns unserer
Landschaft zu Tode kommt. Außerdem überschätzt die Jägerschaft nach Untersuchungen des Biologen Pegel die
Bestandszahlen des Feldhasen systematisch um das Zwei- bis Vierfache und schießt aus diesem Grund wesentlich mehr,
als der Bestand verkraften kann.
Beim Rebhuhn werden als Gefährdungsursachen Flurbereinigung und die Anwendung toxischer Spritzmittel angeführt,
wohingegen am Rückgang des Birkhuhns gemäß den Untersuchungen des Ornitho-Ökologen Prof. Reichholf auch die jagdliche
Streckenmaximierung nicht unschuldig ist. Es ist nämlich Gang und Gäbe, im Herbst eigens zu Jagdzwecken gezüchtete
Fasanen auszusetzen. Da diese jedoch dieselbe ökologische Nische beanspruchen wie das Birkhuhn, treten die beiden
Arten in heftige Konkurrenz miteinander - weshalb nach Reichholf eine Verdrängung des Birkhuhns durch den Fasan sehr
wahrscheinlich ist.
Einen stichhaltigen ökologischen Grund für die Verfolgung des Fuchses gibt es schlichtweg nicht. Vielmehr nehmen sich
die krampfhaften Versuche von Jagdmedien und -funktionären, die Fuchsjagd als einen Akt ökologischer Notwendigkeit
darzustellen, eher als Verschleierungstaktik aus, mit der von realen Motiven zur Fuchsjagd - Beuteneid und Jagdlust -
abgelenkt werden soll. Wirft man jedoch einen eingehenderen Blick in die prosaischen Ergüsse schreibender Jäger, die
in den gängigen Jagdzeitschriften nach wie vor publiziert werden, so wird man nichtsdestoweniger rasch feststellen,
worum es den Grünröcken wirklich geht. Wer das winterliche Nachstellen und Töten eines liebestollen Fuchspärchens zum
erregenden, nur mit sexuellen Handlungen zu vergleichenden Ereignis emporstilisiert, ist nach heute gültigen
Maßstäben nur in psychopathologischen Kategorien angemessen zu bewerten. Wir dürfen nicht vergessen, daß es sich bei
jedem in einer angeblich "sofort tötenden" Falle langsam zu Tode gequetschten, bei jedem im fahlen Mondlicht
angeschossenen, bei jedem blutüberströmt vom Jagdhund aus dem vermeintlich sicheren Bau "gesprengten" - und auch bei
jedem "sauber gestreckten" - Fuchs um ein fühlendes, denkendes Individuum mit einem Recht auf Leben handelt!
In Anbetracht dessen macht es Mut, dass mancherorts bereits Konsequenzen aus wissenschaftlichen Erkenntnissen und
moralischem Fortschritt gezogen werden. In den Niederlanden wurden Füchse beispielsweise im Jahr 2002 unter
Schutz gestellt, dürfen also nicht mehr gejagt werden. In vielen Nationalparks herrscht ebenfalls ein ganzjähriges
Fuchsjagdverbot, und so mancher Förster fordert mittlerweile, Füchse und andere Prädatoren zu schonen - aus gutem
Grund: Sie halten die Bestände ihrer Beutetiere widerstandsfähig, indem sie stets zuerst schwache und kranke Tiere
reißen und auf diese Weise Seuchenherde frühzeitig eliminieren. Außerdem sind Füchse als eifrige Mäusevertilger
ausgesprochene "Forst"nützlinge, und auf dem 2. Internationalen Rehwild- Symposium in Südtirol war zu hören, dass
Füchse in genügend großer Zahl sogar die durch die intensive jägerische Hege überhöhten Rehwildbestände im Zaum
halten können. Im 10.236 Hektar großen irischen Killarney-Nationalpark genießt Reineke bereits ganzjährige
Vollschonung, weil er sich durch das Reißen von Kälbern maßgeblich an der Reduktion der dortigen Rotwildvorkommen
beteiligt.
Fuchsjagd: ökologischer Nonsens
Beutegreifer zu bejagen, ist aus ökologischer Sicht vollkommen unsinnig; aus ethischer Sicht ist es verurteilenswert und
anachronistisch. Es wird Zeit, daß wir uns als mündige Bürger endlich gegen all diejenigen wehren, die jeden vor den
Augen seiner entsetzten Eltern vom "raubzeugscharfen" Jagdhund zerfleischten Jungfuchs zum Anlaß nehmen, sich als
Diener an Volksgesundheit und Artenvielfalt zu fühlen. Es ist ein gefährlicher und ethisch indiskutabler Zustand,
dass die letzten größeren Beutegreifer Mitteleuropas der Willkür einer Bevölkerungsgruppe unterstellt sind, die in
ihnen nichts als lästige Beutekonkurrenten sehen und ihnen demensprechend permanent nach dem Leben trachten. Die
vollständige Unterschutzstellung aller einheimischen Prädatoren, allen voran die des seit Jahrzehnten beispiellos
verfolgten Fuchses, ist längst überfällig. Davon könnten auch wir Menschen profitieren - wo Füchse ihre zweibeinigen
Mitgeschöpfe nicht fürchten müssen, beispielsweise auf der nördlichen japanischen Hauptinsel Hokkaido, in Israel oder
dem kanadischen Prince-Albert-Nationalpark, sind die hierzulande so mißtrauischen Rotröcke überaus zutraulich und
lassen sich problemlos über Stunden in ihrem bezaubernden Sozialverhalten beobachten.